Die ganze Verlegerbranche erhofft sich vom iPad und seinen Apps die Rettung. Eine Illusion. Von Peter Sennhauser
Ich lebe seit bald sechs Jahren in San Francisco, und ich habe an fast allen Keynotes und Pressekonferenzen teilgenommen, die Apple in dieser Zeit abgehalten hat. Was mich dabei immer befremdet hat, war das Verhalten der Medienleute. Wenn die auf eine der sorgfältig inszenierten Ankündigungen von Steve Jobs mit Jubel reagierten, als ob gerade ein Impfstoff gegen Krebs und nicht die längst überfällige Korrektur an einem Produkt präsentiert worden wäre, dann lief es mir kalt den Rücken runter: Wir sind Leute, die (grösstenteils) dafür bezahlt werden, kritisch zu denken. Das aber geht schlecht, wenn man mit offenem Mund jubelt und klatscht. Es hemmt den Blick für die Details und schliesst das Ohr für das, was nicht gesagt wird. Und das ist bei PR-Veranstaltungen immer das wichtigste. Niemals aber war der Jubel über ein kommendes Apple-Produkt in den Mainstream-Medien grösser und anhaltender als beim eben lancierten iPad. Warum? Irgendwer hat den Journalisten weisgemacht, dass das iPad das unterspülte Geschäftsmodell ihrer Arbeitgeber, ihre ganze Branche und letztlich ihre Jobs retten werde.
Drei Missverständnisse. Diese Hoffnungen beruhen auf drei Missverständnissen, denen namentlich die Verleger noch immer aufsitzen: 1. Medienkonvergenz verlangt nicht weniger, sondern mehr und bessere, originäre Inhalte. 2. In der digitalen Medienwelt wird Differenzierung zum wichtigsten Kriterium für den Publikumserfolg. 3. Das Geschäftsmodell der Verleger war noch nie die Produktion von Inhalten, sondern das Gatekeeping (dank Inhalten). Was hat das mit dem iPad zu tun? Wer sich das wegweisende Mockup einer digitalen Ausgabe der amerikanischen „Sports Illustrated” angesehen hat, erkennt leicht, dass die Menge der Inhalte und der Aufwand zu ihrer Aufbereitung um Faktoren grösser ist als für ein einfaches Printmagazin. Erstklassige Videos, endlose Fotostrecken und aufwändig animierte Grafiken: Solche Inhalte müssen herausragend und exklusiv sein, sie können nicht aus Agenturstoff und Filmchen eines nebenbei videografierenden Journalisten gebastelt werden. Mit den eben zusammengesparten Redaktionen wird niemand derart mehrwertige Produkte erschaffen. Auch mit kostenpflichtigen Apps in einem geschlossenen System wird das Hauptkriterium für den Erfolg in der digitalen Medienwelt – Differenzierung und Exklusivität – nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein. Im Gegenteil: Für Einheitsbrei aus dem Newsroom und den vierfach neu zusammengewürfelten Inhalt völlig verwässerter Zeitungstitel bezahlt kein iPad-Besitzer eine Abogebühr.
Grosses Wunschdenken. Auch auf dem iPad lauert die Konkurrenz gleich neben den Bezahl-Apps im Browser, und sie ist so kostenlos und vielfältig wie seit 15 Jahren. Die Wahrheit ist, dass das Verlagsgeschäft nicht bröckelt, weil die Verleger irgendwann dummerweise ihre Inhalte verschenkten – sondern weil andere mehr (und bisweilen besseren) Stoff kostenlos anbieten konnten. Das Mediengeschäft ist nicht das der Newsproduktion, sondern des Gatekeepings. Steve Jobs (oder Amazon, oder Barnes & Noble) gibt den Verlegern mit dem geschlossenen iPad-Modell nicht ihr Businessmodell zurück, sondern entreisst es ihnen vollends und degradiert sie zu Content-Lieferanten. Dass diese genug vom Kuchen abkriegen werden, um bessere Inhalte zu produzieren und Personal einzustellen, dürfte Wunschdenken bleiben.
Surfbrett Kalender-Anwendungen TERMINE TEILEN Immer mehr Menschen „teilen” im Internet Inhalte und Daten, und eine relativ neue Version des neudeutschen „Sharen” ist das von Terminen. Seit Langem schon kann man einen Termin, der in einer Kalender-Anwendung festgelegt worden war, als kleine Datei (früher mit der Endung .vcs, heute .ics) an andere Leute verschicken. Das ging auch aus geschlossenen Systemen wie Outlook an andere Anwender via Mail. Heute setzen sich „Cloud”-Systeme als Webanwendungen durch wie der Google-Kalender, bei denen auf Knopfdruck zu einem Termin eine Einladung an die Mailadresse eines Gegenübers verschickt wird. Das gehört unter Web-Afficionados bereits zum guten Ton: Es gilt als freundlich und organisiert, weil der Gesprächspartner einerseits den Termin nicht händisch in seinen Kalender eintragen, sondern weitgehend unabhängig von der verwandten Software am PC ebenso wie auf dem Smartphone nur noch anklicken muss. Komplexer sind die Systeme zur Findung von Terminen unter mehreren Teilnehmern. Was mit Microsoft Outlook und Google Calendar durchaus geht, darauf haben sich mehrere Firmen mit ihren Webanwendungen spezialisiert. Allen voran zu nennen sind Doodle.com, das Original, ein sehr griffiges und einfach zu bedienendes Web-Werkzeug aus Zürich, und Konkurrent Zeeyoo.com, der komplexere Terminvorschläge, Rückmeldungsoptionen und Abo-Dienste bietet. Weitere Anbieter sind tungle.me, timebridge.com und jifflenow.com.
Peter Sennhauser ist Chefredaktor des Zürcher Webverlags Blogwerk AG, der auch das Webmedien-Magazin netzwertig.com herausgibt.
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