Am Music-Promotion-Network scheiden sich die Geister in den Musikredaktionen. Die Kommerz-Radios sind damit zufrieden, die Alternativ-Sender und Musikjournalisten wehren sich. Von Indrani Das
Musik der Rockband Revolverheld? Nicht für den Radiosender Kanal K, ginge es nach deren Plattenfirma Sony. Ein Interview-Termin mit den diesjährigen Echo-Gewinnern „The Baseballs”? Nicht für Kanal K-Radiomoderator Leo Niessner. „Jetzt wirds absurd!”, sagt er zur Absage des zuständigen Musiklabels Warner. Leo Niessner wehrt sich im Namen von zwölf Schweizer Unikom-Radiostationen gegen die Online-Plattform „Music-Promotion-Network” (MPN). Diese Plattform wird von der Firma Phononet aus Zürich betrieben, der Chris Wepfer vorsteht. Initiiert wurde sie von den vier grossen Musiklabels Sony, Universal, Emi und Warner. Ihr Ziel ist es, ein digitales Musik-Tool für Händler und Medien zu schaffen. „Wir verhindern dadurch, dass Lastwagen voller CDs nutzlos in der Welt herumfahren”, sagt Wepfer. Ausserdem stellten sie mehr als nur Musik bereit. „Radiosender erhalten komplette Daten zu Bands, Touren, Musik und Covers.” Dazu müssen sie sich bei MPN kostenpflichtig anmelden und eine eigene IP-Adresse bereithalten, um die Musikstücke in „CD-Qualität” herunterladen zu können. „Die SRG und die meisten kommerziellen Radiosender sind bei uns dabei”, sagt Chris Wepfer.
MPN-Alltag bei den Grossen. Chefredaktorin Karin Müller von Radio 24 und Programmleiter Dani Stöhr von Radio Top Winterthur bestätigen dies. Beide Sender benutzen MPN, weil Stücke und Daten schnell verfügbar sind. Auch bei DRS 3 setzt man auf MPN. „Wir benutzen MPN seit knapp zwei Jahren und sind zufrieden”, sagt Michael Schuler, Musikleiter von DRS 3 und Virus. Normalerweise hören sich die Musikredaktoren vorab den Stream eines Stückes an und entscheiden dann, ob sie dieses herunterladen möchten. Wenn ja aktivieren sie danach das hauseigene Ladesystem. „Generell muss die ausgewählte Musik zum Profil von DRS3 passen”, erklärt Schuler. Anders bei Radio Munot. Der Schaffhauser Privatsender setzt auf Formatradio: Sie kaufen eine von einem Marktinstitut getestete Musikauswahl ein. „Popmusik, die gut ankommt”, sagt Programmleiter und Geschäftsführer Wälz Studer. Das sind im Durchschnitt fünf bis zehn neue Titel pro Monat. Diese kauft der Sender oft noch per CD ein, was mit gut 1000 Franken pro Jahr zu Buche schlägt. MPN würde ihn hingegen 3000 Franken kosten. „Das lohnt sich nicht”, sagt Studer. Zumal der Sender nicht auf Empfehlungen der vier Plattenriesen setzen möchte, sondern eben auf „getestete Musik”. Der Nachteil: Schweizer Musik schneidet bei diesen Tests so schlecht ab, dass sie nur noch in einem Samstag-Format stattfindet. „Für uns Unikom-Sender lohnt sich MPN ebenfalls nicht”, sagt Leo Niessner. „Wir brauchen eine eigene IP-Adresse, das kostet bis zu 2000 Franken im Jahr. Für einen Alternativ-Sender ein Ding der Unmöglichkeit”, sagt der Radiomoderator. Abgesehen davon sei das Angebot, das für diese Sender interessant sei, sehr klein. „Für fünf neue Indie-Stücke im Monat lohnt sich der Aufwand nicht”, sagt Niessner. Und fragt: „Wissen die Labels eigentlich, was ein Unikom-Sender ist?” Aber ohne einen Anschluss bei Phononet ist der Bezug von Musik für diese Sender sehr erschwert.
Kritik der Musikjournalisten. Ähnliches fragt sich auch der Musikjournalist Markus Ganz von der NZZ dert MPN ablehnt. Er vertritt in seinem Verein „Wort” Schweizer Musikjournalisten aus dem Rockbereich. „Haben die Musiklabels eine Ahnung, wie Journalismus funktioniert?” Scheinbar nicht, lautet sein Resumée. Sonst böten sie den Musikjournalisten auf MPN mehr Service als nur einen kostenlosen Zugang und einen Stream zum Hineinhören an. Ganz: „Bei MPN hören wir ein Musikstück als 64kb-Stream. Das reicht nicht für eine seriöse Bewertung.” Ausserdem können sie diese Streams weder herunterladen noch abspeichern. Also müssen die Musikjournalisten eine CD bei den Plattenfirmen bestellen. „Für mich ist das kein Problem, aber ich weiss von jüngeren Kollegen, dass sie nichts mehr bekommen.” Wer entscheidet demnach, welcher Musikjournalist mit CDs bestückt wird oder nicht? „Wir von Phononet nicht!”, sagt Chris Wepfer und verweist auf die Labels selber. „Wir von EMI haben kein Problem, auch Journalisten kleinerer Zeitungen zu bestücken, wenn sie es wünschen”, stellt Carlo Pozzi, Head of Promotion von EMI Music Switzerland fest. Das Problem liege eher darin, dass Promo-CDs selbst bei ihnen im Haus sehr spät auf dem Tisch liegen. Wie im Fall Keith Urban. „Einen Tag vor Veröffentlichung seines neuen Albums haben wir noch keine Promo-CD”, sagt Pozzi. Aber auf Share – der Emi-eigenen Online-Plattform – sei das neue Album bereits seit längerem erhältlich. Mit Share könne Emi zugleich kontrollieren, wer die Musik wozu herunterlädt – sie tracken, wie die Branche es nennt. „Wir werden laufend für physische Muster angefragt. Mir scheint, dass sich die Journalisten nur schlecht von der CD lösen können”, vermutet Carlo Pozzi.
Nicht im Interesse der Musiker. „Wenn man als Journalist weder die Musik herunterladen noch ein Archiv anlegen kann, so erschwert uns dieses System unsere Arbeit erheblich”, sagt Markus Ganz. „Ich verstehe das Verhalten der Labels nicht. Schon aus Promotionsgründen nicht. Das kann nicht im Interesse der Musiker sein, von uns Musikjournalisten ignoriert zu werden, weil ihre Musik nur noch begrenzt für uns verfügbar ist.” „Als Konsequenz könnten wir die neuesten Titel vor dem offiziellen Release spielen”, überlegt Leo Niessner von Kanal K. Das würde zwar gegen ein unausgesprochenes Gesetz der Branche verstossen, „aber was sollen wir machen?” Bislang zeigen die vier grossen Plattenfirmen ihnen die kalte Schulter. Oder erteilen gleich ein Interview-Verbot. Was für die Musiker dieser Labels bedeutet, dass sie von den kleinen Sendern kaum noch gespielt werden.
Indrani Das ist freie Journalistin in Bülach/ZH.
© EDITO 2010
|